Wie echtes Zuhören psychologische Sicherheit, Innovation und Engagement fördert
In einer Arbeitswelt voller Meetings, E-Mails und ständiger Ablenkung wird Zuhören zur seltenen Kunst. Besonders in (virtuellen) Meetings, die eigentlich Raum für sinnvollen Austausch bieten könnten, fehlt es oft an echter Aufmerksamkeit, klarer Zielorientierung und präzisen Fragen, die dem Gespräch eine konstruktive Richtung geben. Stattdessen dominieren Monologe, Ablenkung und Oberflächlichkeit. Dabei ist Zuhören nicht nur eine notwendige Basis der Kommunikation, sondern eine der wichtigsten – und zugleich am meisten unterschätzten – Fähigkeiten für Führung und Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert.
Studien zeigen, dass Menschen nahezu die Hälfte ihrer Zeit mit wandernden Gedanken verbringen . Selbst Führungskräfte berichten, in rund 70 % der von ihnen selbst geleiteten Besprechungen innerlich abwesend zu sein . Dieses fehlende Zuhören ist keine Lappalie – es beeinflusst die Qualität von Entscheidungen, die Innovationskraft von Teams und das emotionale Klima in Organisationen.
In diesem Artikel erläutern wir, was echtes Zuhören ausmacht, wie es sich vom oberflächlichen Zuhören unterscheidet und welche tiefgreifenden Wirkungen es in Teams entfaltet – von psychologischer Sicherheit über Innovationskultur bis zu Wohlbefinden und Engagement. Zudem fassen wir aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen, insbesondere die Arbeiten von Guy Itzchakov und Avi Kluger. Abschließend zeigen wir konkrete Wege, wie Zuhören durch gezieltes Einüben zur gelebten Praxis wird – etwa in unserer quartalsweise stattfindenden Listening Masterclass.
In diesem Artikel wollen wir darauf eingehen, was wir unter echtem Zuhören verstehen und wie es sich vom nicht-aufmerksamen Wahrnehmen abgrenzt. Wir betrachten die Wirkungen, die echtes Zuhören im Arbeitskontext entfaltet – von psychologischer Sicherheit über Innovationskultur bis zu Wohlbefinden und Engagement. Außerdem fassen wir den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Studienlage zusammen, insbesondere die Erkenntnisse von Guy Itzchakov und Avi Kluger (u. a. aus „The Power of Listening at Work“).
Schließlich stellen wir konkrete Übungen und Formate aus unserer Listening Masterclass vor – darunter Time To Think, Generous Listening, Aktives Zuhören nach Carl Rogers, Listening as Hospitality (Henri Nouwen) und das SPACE-Modell.
Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass echtes Zuhören nicht nur Theorie, sondern vor allem Übungssache ist – eine Praxis, die jede*r durch regelmäßiges Training entwickeln kann.
Echtes Zuhören vs. oberflächliches Zuhören
Zuhören ist nicht gleich Zuhören. Oft meinen wir, zuzuhören, während wir in Wahrheit nur warten, bis wir selbst sprechen können. Echtes Zuhören bedeutet dagegen, dem Gegenüber voll und ganz Aufmerksamkeit zu schenken – mit Präsenz, Empathie und ohne vorschnelles Urteilen. Henri Nouwen hat es für uns treffend formuliert:
„Zuhören ist viel mehr, als einem anderen das Reden zu erlauben und darauf zu warten, dass wir antworten können. Zuhören bedeutet, der anderen Person die volle Aufmerksamkeit zu schenken und sie mit unserem Wesen willkommen zu heißen.“
Wer so zuhört, signalisiert seinem Gegenüber: Du wirst gehört und angenommen. Das Ergebnis: „Das Schöne am Zuhören ist, dass diejenigen, denen zugehört wird, anfangen, sich angenommen zu fühlen, anfangen, ihre Worte ernster zu nehmen und ihr eigenes wahres Selbst zu entdecken.“
Daraus lernen wir: Echtes Zuhören schafft Vertrauen und Raum, in dem sich Menschen öffnen können.
Im Gegensatz dazu steht das oberflächliche Zuhören. Dazu zählt z.B. das scheinbare Zuhören, bei dem man nickt und „Mhmm“ sagt, innerlich aber ganz woanders ist. Oder das selektive Zuhören, bei dem man nur auf Stichworte wartet, um die eigene Meinung anzubringen. Ein solcher Zuhörer hört zwar die Worte, aber nicht die eigentliche Botschaft. Oberflächliches Zuhören vermittelt dem Gegenüber unterschwellig Desinteresse oder Ungeduld – oft mit negativen Folgen für die Beziehung.
Der Theologe Henri Nouwen prägte in diesem Zusammenhang das Bild vom Zuhören als Gastfreundschaft. Wirklich zuzuhören bedeute, innerlich einen freien Raum zu schaffen, in dem der/die Sprechende sich willkommen und sicher fühlen kann.
Henri Nouwen schreibt:
„Zuhören ist eine Form der spirituellen Gastfreundschaft, durch die wir Fremde einladen, Freunde zu werden, ihr Inneres vollständiger kennenzulernen und sogar zu wagen, mit ihnen zu schweigen.“
Diese Haltung des aufmerksamen Willkommens unterscheidet echtes Zuhören fundamental vom bloßen Anhören von Worten.
Wahres Zuhören erfordert also bewusste Anstrengung, innere Ruhe und Empathie. Es bedeutet, das eigene Bedürfnis zu sprechen, Lösungen anzubieten, Gedanken zu äußern, zurückzustellen. Das kann herausfordernd sein – insbesondere in stressigen Arbeitsumgebungen. Doch wie wir im Folgenden sehen werden, lohnt es sich: Die positiven Effekte echten Zuhörens auf Zusammenarbeit und Teamkultur sind durch Forschung vielfach belegt.
Wirkungen von echtem Zuhören im Arbeitskontext
Gelingt es, echtes Zuhören im Team zu verankern, entfaltet das eine bemerkenswerte Wirkung auf die Teamkultur und die Ergebnisse der Zusammenarbeit. Insbesondere lassen sich folgende Aspekte positiv beeinflussen:
Psychologische Sicherheit: Wenn Teammitglieder spüren, dass ihnen wirklich zugehört wird, steigt ihre psychologische Sicherheit. Sie fühlen sich wohler dabei, offen ihre Meinung zu äußern und auch heikle Themen anzusprechen. In Studien zeigte sich, dass Sprecher, die auf gute Zuhörer trafen, einen Zuwachs an psychologischer Sicherheit erlebten und zugleich weniger durch hierarchisch bedingte Ängste gehemmt waren. Wahre Zuhörende vermitteln also ein Klima des Vertrauens und der sicheren Kommunikation – eine Grundvoraussetzung dafür, dass Teams ehrlich voneinander lernen und Probleme frühzeitig adressieren können.
Innovationskultur und Kreativität: Eine Kultur des echten Zuhörens fördert Innovation, denn neue Ideen finden Gehör statt abgewürgt zu werden. Wenn Mitarbeiter wissen, dass ihre Vorschläge und Gedanken wirklich aufgenommen werden, trauen sie sich eher, kreativ zu denken und ungewöhnliche Ansätze zu teilen. Experimentelle Untersuchungen untermauern das: In einem Labor-Setting führte qualitatives Zuhören zu messbar mehr Einfallsreichtum – die Probanden zeigten größeren Flow, Originalität und Flexibilität im Generieren von Ideen. Eine andere Analyse stellte fest, dass Teams in einem intensiven Zweier-Gespräch („Dyad“) eine besondere Vertrautheit und Offenheit entwickelten, die Kreativität begünstigt. Mit anderen Worten: Wo wirklich zugehört wird, entsteht ein Nährboden für Neuerungen und kreative Problemlösungen.
Offenheit für neue Perspektiven: Echtes Zuhören geht mit einer vorurteilsfreien Grundhaltung einher und kann dadurch Offenheit und Lernbereitschaft fördern. Indem man ohne zu urteilen zuhört, signalisiert man Respekt für andere Sichtweisen – selbst wenn man anderer Meinung ist. Eine spannende Studie von Itzchakov et al. (2020) zeigte, dass Sprechende weniger voreingenommene Einstellungen gegenüber Fremdgruppen hatten, wenn ihnen hochqualitativ zugehört wurde (im Vergleich zu nur mittelmäßigem Zuhören). Noch bemerkenswerter: Die Zuhörerrolle führte dazu, dass die Sprechenden Selbsteinsicht gewannen und offener für Veränderungen in ihren eigenen Überzeugungen wurden.
Mit echtem Zuhören schaffen Führungskräfte also ein Umfeld, in dem starre Meinungen aufweichen und eine Kultur der Offenheit entsteht.
Mitarbeitende sind dann eher bereit, Feedback anzunehmen, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Verbindung und Vertrauen: Wirklich zuzuhören stärkt die zwischenmenschliche Verbindung im Team. Wer die Erfahrung macht, dass sein Gegenüber ihm ungeteilt zuhört, fühlt sich gesehen und respektiert – das baut Vertrauen auf. Eine hohe Zuhörqualität geht laut Forschung einher mit besseren Beziehungen am Arbeitsplatz, zum Beispiel höherem gegenseitigem Vertrauen.
Teams, in denen diese Verbundenheit besteht, zeichnen sich durch stärkeren Zusammenhalt und Kooperation aus. So wurde in Feldstudien festgestellt, dass Mitarbeiter umso eher ihren Kollegen helfen und unterstützendes Verhalten zeigen, je besser das Zuhören im Team ausgeprägt ist.
Echtes Zuhören schafft also eine Atmosphäre der Verbundenheit – oft beschreiben Gesprächspartner im Nachhinein ein Gefühl von „da sind wir wirklich auf einer Wellenlänge gewesen“. Dieses Wir-Gefühl erhöht die Teammoral und kann sogar Konflikten vorbeugen, weil Missverständnisse früh abgebaut werden.Wohlbefinden und Stressreduktion: Zuhören hat auch eine wichtige „therapeutische“ Wirkung: Es verbessert das Wohlbefinden der Menschen, die sich gehört fühlen. Zahlreiche Befunde zeigen, dass aktives Zuhören Stress mindern und Burnout entgegenwirken kann. In Pflegeberufen etwa korrelierte die Wahrnehmung der Mitarbeiter, dass ihre Leitung ihnen zuhört, mit weniger Erschöpfung und Burnout-Symptomen. Gleichzeitig fühlen sich Beschäftigte, denen aufmerksam zugehört wird, empowered: Eine Studie mit Krankenpflegerinnen ergab, dass wahrgenommenes Zuhören durch Vorgesetzte das Gefühl der Selbstwirksamkeit und Befähigung der Mitarbeiterinnen deutlich stärktfile-1zreqydqwjnzdb6tvruyzx. Dieses gesteigerte Wohlbefinden wirkt sich positiv auf die Motivation und die allgemeine Gesundheit im Team aus. Und nicht zuletzt profitieren auch die Zuhörenden selbst – wer richtig zuhört, erlebt häufig mehr Sinnhaftigkeit in Gesprächen und laut Forschung sogar eine Steigerung des eigenen Wohlbefindens.
Engagement und Zufriedenheit: Eine Kultur des Zuhörens fördert die Arbeitszufriedenheit und das Engagement der Mitarbeiter. Wenn Führungskräfte ihren Leuten wirklich Gehör schenken, fühlen sich diese wertgeschätzt und ernst genommen – ein entscheidender Faktor für die Zufriedenheit im Job. Entsprechend steht die wahrgenommene Zuhörkompetenz von Vorgesetzten in stark positiver Verbindung mit zwei Kern-Indikatoren der Arbeitshaltung: Arbeitszufriedenheit und organisatorische Bindung (Commitment). Mit anderen Worten: Mitarbeiter sind engagierter bei der Sache und ihrem Unternehmen gegenüber loyaler, wenn ihre Führungskraft gut zuhören kann. Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass aktives Zuhören die Leistung und das freiwillige Extra-Engagement fördert. So steigert etwa die aufmerksame Kommunikation des Vorgesetzten die Bereitschaft der Mitarbeitenden, Entscheidungen der Führungskraft mitzutragen. Gutes Zuhören von Seiten der Führung korreliert auch mit mehr freiwilligem Einsatz (Organizational Citizenship Behavior) und geringerer Fluktuationsbereitschaft im Team. Dies ist erstaunlich –betrachtet man auf der einen Seite die immensen kosten, die durch (vermeidbare) Fluktuation entstehen – und schaut man zugleich auf die geringen Investitionen in Programme, die wahres Zuhören schulen und entwickeln.
Insgesamt trägt echtes Zuhören also zu einer engagierten, motivierten Belegschaft bei, die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam Erfolge zu erzielen. Wie diese Punkte verdeutlichen, zieht sich die Kraft des Zuhörens durch alle Ebenen der Teamarbeit. Ob es um die Atmosphäre im Team, die mentale Gesundheit der Mitglieder oder um harte Faktoren wie Kreativität und Leistung geht – überall dort kann echtes Zuhören als stiller Katalysator wirken. Doch was sagt die Wissenschaft insgesamt zu diesem Thema? Im nächsten Abschnitt werfen wir einen Blick auf zentrale Forschungsergebnisse.
Wissenschaftliche Studienlage: Die Kraft des Zuhörens
In den letzten Jahren rückt das Listening-Thema verstärkt in den Fokus der Organisationsforschung. Besonders hervorzuheben sind die Arbeiten von Avraham N. (Avi) Kluger und Guy Itzchakov, die in mehreren Studien und Übersichtsarbeiten die Wirkung des Zuhörens untersucht haben. In ihrem einflussreichen Review-Artikel „The Power of Listening at Work“ (Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 2022) fassen Kluger & Itzchakov den Stand der Forschung eindrucksvoll zusammen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Zuhören in nahezu allen Bereichen zu positiven Ergebnissen führt, von der Arbeitsleistung und effektiverem Leadership über die Qualität von Beziehungen (etwa Vertrauen) bis hin zu Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden.
Interessanterweise betonen die Autoren, dass Zuhören ein wechselseitiger Prozess ist, der sowohl dem Sprechenden als auch dem Zuhörenden nutzt. Dieses sogenannte dyadische Phänomen der Co-Narration bedeutet: Nicht nur derjenige, der Gehör findet, profitiert – auch der Zuhörer selbst erfährt oft mehr Verständnis, Verbundenheit und sogar persönliches Wachstum durch das Gespräch. Studien liefern Hinweise, dass Menschen, die gut zuhören, langfristig z.B. über höheres eigenes Wohlbefinden und bessere Kenntnisse ihrer Mitarbeitenden verfügen. Gutes Zuhören schafft also eine Win-Win-Situation für beide Seiten einer Unterhaltung.
Um die vielfältigen Befunde zu erklären, haben Kluger & Itzchakov die „episodische Zuhör-Theorie“ (Episodic Listening Theory) vorgeschlagen. Demnach kann intensives, echtes Zuhören einen flüchtigen Zustand von „Togetherness“ erzeugen – ein Gefühl des Miteinanders, in dem beide Gesprächspartner gewissermaßen auf einer gemeinsamen Wellenlänge denken und fühlen. In diesem Zustand der Zugehörigkeit entsteht laut den Forschern eine Art kreativer Dialog:
Die Dyade (also Sprecherin und Zuhörerin zusammen) durchläuft einen gemeinsamen schöpferischen Denkprozess, der zu mehr Klarheit, neuen Einsichten und Ideen führt – und genau dies ist eine der typischen Formen des Time To Think Dialogs, dazu später mehr. Gleichzeitig stärkt dieses Erleben die Bindung an den Gesprächspartner. Kluger & Itzchakov verweisen darauf, dass dieser Zustand von früheren Autoren ähnlich beschrieben wurde – z.B. als „I–Thou“-Begegnung beim Philosophen Martin Buber:

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Wenn wir aufhören, uns zu begegnen, ist es, als hörten wir auf zu atmen."
-Martin Buber
In der Positiven Psychologie wird dies modern als High-Quality Connection bezeichnet, in Time To Think nach Nancy Kline sind es die Thinking Environments. Aus wissenschaftlicher Sicht untermauert dies, dass echtes Zuhören nicht nur sachliche Informationen austauscht, sondern eine tiefere Verbindung und einen Raum für gemeinsames Wachstum schafft. Neben diesen theoretischen Betrachtungen gibt es eine Vielzahl weiterer Studien, die einzelne Facetten des Zuhörens im Arbeitskontext beleuchten. Einige Beispiele:
In Experimenten von Castro et al. (2016, 2018) zeigte sich, dass Wahrnehmung von Zuhören unmittelbar die psychologische Sicherheit der Sprechenden erhöht.
Itzchakov et al. (2016, 2017) fanden heraus, dass gutes Zuhören soziale Ängste reduziert – die Sprechenden fühlten sich weniger durch Hierarchie oder Bewertung eingeschüchte.
Eine Feldstudie in Israel ergab, dass Teams mit ausgeprägter Zuhörkultur deutlich mehr gegenseitige Hilfsbereitschaft zeigten.
In Deutschland wurde beobachtet, dass bessere Zuhörfähigkeit von Führungskräften mit geringeren Kündigungsabsichten bei Mitarbeitern einhergeht.
Und eine Untersuchung aus dem Gesundheitswesen berichtete, dass Patienten seltener Klagen gegen Ärzte einreichten, wenn diese zuhören konnten – ein Hinweis darauf, wie sehr Zuhören Vertrauen fördert.
„Listening“ ist weit mehr als nur eine höfliche Geste. Otto Scharmer stellt fest:
„Zuhören ist nicht nur eine wichtige Fähigkeit, es ist die wichtigste und am meisten unterschätzte Führungsfähigkeit des 21. Jahrhunderts”.
Wie wir gesehen haben, beginnt dies bei der psychologischen Sicherheit im Team und reicht bis hin zu harten Kennzahlen wie Performance und Mitarbeiterbindung.
Übungen und Formate für wirksames Zuhören: Listening Masterclass
So wichtig die Theorie und das Verständnis dieser Konzepte auch sind – wahres Zuhören lernt man vor allem durch Übung. Deshalb legen wir in unserer Listening Masterclass den Fokus auf praktische Ansätze und Trainings, mit denen Teams ihre Zuhörfähigkeit Schritt für Schritt ausbauen können. Im Folgenden stellen wir einige bewährte Übungen und Formate vor, die wir einsetzen und die jede/r im Arbeitsalltag ausprobieren kann:
Time To Think (Nancy Kline): Time To Think ist ein von Nancy Kline entwickeltes Format, das gezielt einen Raum für tiefes Nachdenken und Zuhören schafft. Bei FZ sind wir als Coaches und Faciliatoren für Time To Think und Transforming Meetings ausgebildet.
Time To Think zeichnet sich durch eine festgelegte und dediziert gewidmete Denkzeit aus, in der dieser ungestört seine Gedanken aussprechen darf – mit dem Versprechen, nicht unterbrochen zu werden. Der/die Zuhörer*in konzentriert sich ausschließlich darauf, einen sicheren Denkraum zu halten, z.B. durch aufmerksamen Augenkontakt und ermutigendes Nicken, ohne selbst zu sprechen. Nach Ablauf der Zeit wechselt die Rolle. Dieses einfache Setting hat eine verblüffende Wirkung: Durch das stille Zuhören können Ideen reifen und neue Einsichten entstehen. Nancy Kline nennt dies auch einen „Denkraum“ oder Thinking Environment, in dem echtes Zuhören wie ein Katalysator auf das klare Denken wirkt. In Teams fördert Time To Think eine Kultur, in der jeder Gedanke gehört wird – auch die leisen Stimmen – und sich alle mit ihren Beiträgen einbringen können. Nancy Kline sagte darüber:

„Time To Think is a way of Living”
-Nancy Kline
Generous Listening: Generous Listening bedeutet wörtlich „großzügiges Zuhören“ – und genau darum geht es: dem Gegenüber großzügig Zeit, Geduld und ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Dieser Ansatz, inspiriert u.a. von der Ärztin Rachel Naomi Remen und der Journalistin Krista Tippett, betont insbesondere die Haltung der Neugier und des Wohlwollens beim Zuhören. Anstatt sofort Ratschläge zu geben oder die eigenen Erfahrungen dazwischenzuschieben, übt man sich in großzügigem Schweigen und lässt den anderen ausreden, ja ausdenken. Remen beschreibt, dass achtsames, großzügiges Zuhören dem Sprechenden das Gefühl gibt, angenommen zu sein, was es ihm ermöglicht, sein Anliegen selbst klarer zu verstehen.
Krista Tippett spricht von der „Kunst des großzügigen Zuhörens“ und betont, wie wichtig es ist, ohne Vorannahmen und Wertung zuzuhören – ganz so, als würde man ein Geschenk überreichen. In der Praxis kann man Generous Listening üben, indem man in Meetings bewusst darauf verzichtet, sofort zu reagieren. Stattdessen stellt man offene Fragen, signalisiert Verständnis (z.B. durch bestätigendes Wiederholen oder Nicken) und lässt Pausen zu. So entsteht ein Gesprächsklima, in dem sich alle Beteiligten ernst genommen fühlen und echte Dialoge möglich werden.Aktives Zuhören nach Carl Rogers: Der Begriff Aktives Zuhören geht ursprünglich auf den Psychologen Carl R. Rogers (1950er Jahre) zurück. Rogers definierte dieses Zuhören als ein einfühlsames, nicht-wertendes Eingehen auf den/die Gesprächspartnerin.
Wichtig sind dabei drei Kernkomponenten:
1. Empathie (sich in die Gefühlswelt des Gegenübers einfühlen)
2. Akzeptanz bzw. bedingungslose positive Wertschätzung (den anderen nicht verurteilen) und
3. Kongruenz (Echtheit und Authentizität im eigenen Auftreten).
In der Praxis wird oft betont, dass das aktive Zuhörens mit paraphrasieren ausgeübt wird. Der Zuhörende spiegelt das Gehörte mit eigenen Worten wider („Wenn ich dich richtig verstehe, sagst du…“) und fragt behutsam nach, um wirklich zu erfassen, was der/die andere meint.
Das ist nur zuweilen richtig. Wenn wir im Urwerk von Carl Rogers “Active Listening” von 1957 lesen, kommt dieses darin nicht vor. Wichtig war ihm, die Haltung beim Zuhören – in dem Fall die therapeutische Grundhaltung.
Das Spiegeln wurde später in der Kommunikationstrainingswelt popularisiert – man denke an typische Tipps wie „Paraphrasiere das Gesagte“ oder „Achte auf die Gefühle hinter den Worten“. Genau vor solchen schematischen Methoden und technischen Tipps warnt Rogers: Entscheidend ist immer die Haltung dahinter - eine Haltung, die von echtem Interesse und Mitgefühl geprägt ist. Interessanterweise betont auch Nancy Kline, dass echtes Interesse am Gegenüber entscheidend sei - und dies unterscheide sich wesentlich von der Neugier, die eine selbstbezogene Emotion sei.
In Führungs- und Teamkontexten hilft aktives Zuhören, Missverständnisse auszuräumen und sicherzustellen, dass Botschaften wirklich verstanden werden. Es schafft ein Klima von Respekt und gegenseitigem Verständnis.
Listening as Hospitality: Dieser Ansatz geht – wie bereits in der Definition erwähnt – auf den Theologen Henri Nouwen zurück. Nouwen vergleicht Zuhören mit der Haltung eines gastfreundlichen Gastgebers, der einen geschützten Raum für den Gast vorbereitet. Übertragen auf Gespräche heißt das:
Als Zuhörer*in schafft man durch Aufmerksamkeit und Zugewandtheit einen sicheren geistigen Raum, in dem sich das Gegenüber öffnen darf. Nouwen betont, dass dies viel innere Stabilität des Zuhörenden erfordert – man muss eigene Bedürfnisse, sich mitzuteilen oder zu „beweisen“, zurückstellen können.
Beispielsweise kann man zu Beginn eines Meetings bewusst alle Ablenkungen beiseitelegen (Handy stumm, Laptop zu) und sich innerlich vornehmen, den nächsten Sprechenden so aufzunehmen, als wäre er ein willkommener Gast. Durch diese mentale Einstellung – „Du bist willkommen mit allem, was Dich bewegt“ – ändert sich oft automatisch die Gesprächsdynamik. Das Gegenüber spürt die Offenheit und beginnt, sich vertrauensvoll mitzuteilen. Listening as Hospitality lehrt uns, dass Zuhören mehr ist als eine Technik – es ist ein Akt der Gastfreundschaft und der Menschlichkeit im Arbeitsalltag. In unserer Listening Masterclass ermutigen wir die Teilnehmer, eine Haltung der Gastfreundschaft im Gespräch auszuprobieren. Nouwen schrieb dazu:
„Wahre Zuhörer haben nicht mehr das innere Bedürfnis, ihre Anwesenheit kundzutun. Sie sind frei, zu empfangen, willkommen zu heißen, zu akzeptieren.“,
SPACE-Modell: Das SPACE-Modell von Finde Zukunft ist unser eigener, praxisorientierter Leitfaden, den wir in der Listening Masterclass nutzen, um die Kernaspekte wirksamen Zuhörens greifbar zu machen.
SPACE steht einerseits für „Raum“ (Space) – es signalisiert, dass wir im Gespräch einen Raum öffnen sollen, in dem echtes Zuhören stattfinden kann, gerade „in einer Welt, die ständig redet“.
Andererseits ist SPACE ein Akronym für fünf zentrale Elemente des Zuhörens: Stille, Präsenz, Aufmerksamkeit, Curiosity (Neugier) und Empathie.
Diese fünf Begriffe beschreiben die innere Haltung eines guten Zuhörers:
Stille bedeutet, innerlich ruhig zu werden und dem Gegenüber ohne innere Ablenkung zuzuhören. Es geht auch darum, Pausen auszuhalten und dem Gesagten nachklingen zu lassen, anstatt jedes Schweigen sofort mit eigenen Worten zu füllen.
Präsenz heißt, ganz im Moment und beim Gesprächspartner zu sein – mit allen Sinnen. Dazu gehört Blickkontakt, zugewandte Körperhaltung und das mentale Ausblenden von Störfaktoren. Präsenz schafft die Grundlage dafür, dass sich der/die Sprechende wirklich wahrgenommen fühlt.
Aufmerksamkeit bezieht sich auf das fokussierte Achten auf die Botschaft und die Emotionen des Gegenübers. Man hört nicht nur die Worte, sondern auch auf Zwischentöne, Stimmlage, Mimik – all das, was die eigentliche Bedeutung transportiert.
Calm erinnert uns daran, offen und zugleich ruhig zu bleiben – und Ruhe zu geben. Wir sind interessiert an der anderen Person, doch stillen unsere eigene Neugierde, um der anderen Person mehr Raum zu geben.
Empathie schließlich bedeutet Mitgefühl und Einfühlungsvermögen. Wir versuchen, uns in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen und dessen Gefühle nachzuvollziehen. Empathie schafft Verbindung und signalisiert dem Gegenüber: „Ich fühle mit dir.“
Durch das SPACE-Modell behalten die Teilnehmer einen leicht merkbaren Leitfaden, um im Gespräch den richtigen Raum zu gestalten. Es hilft, sich vor und während schwieriger Gespräche auf die eigene Haltung zu besinnen: Bin ich ruhig und präsent? Höre ich aufmerksam und neugierig zu? Begegne ich meinem Gegenüber mit Empathie? Diese Selbst-Checkliste fördert die bewusste Zuhörpraxis. Gerade in hektischen Teammeetings oder Konfliktsituationen kann das SPACE-Modell dabei unterstützen, einen Schritt zurückzutreten und die Qualität des Zuhörens aktiv zu steigern.
Zuhören als Kernzutat für eine gesunde Teamkultur
Wirksames Zuhören ist weit mehr als nur eine kommunikative Technik – es ist eine Schlüsselkompetenz für erfolgreiche Teamarbeit und Führung. Echtes Zuhören unterscheidet sich grundlegend vom üblichen oberflächlichen Hinhören: Wer präsent, empathisch und ohne Urteil zuhört, schafft ein Klima von Vertrauen und psychologischer Sicherheit. Zahlreiche Studien untermauern, dass solch eine Zuhör-Kultur Innovation fördert, Offenheit begünstigt, soziale Verbundenheit stärkt und sowohl das Wohlbefinden als auch das Engagement im Team steigert. Mit anderen Worten: Die Kunst des Zuhörens kann ganze Teamkulturen positiv verändern.
Wichtig ist dabei zu verstehen, dass man echtes Zuhören nicht allein durch Theorie erlernt. Wie jede Kunst braucht es kontinuierliche Übung und bewusste Praxis. Im hektischen Arbeitsalltag neigen wir alle dazu, wieder in alte Muster – Unterbrechungen, Ablenkung, eigenes Reden – zurückzufallen. Deshalb lohnt es sich, regelmäßig innezuhalten und die eigenen Zuhörgewohnheiten zu reflektieren. Kleine Übungen wie ein „Time To Think“-Gespräch oder das bewusste Anwenden des SPACE-Modells können helfen, die Zuhör-Muskel regelmäßig zu trainieren.
Aus diesem Grund bieten wir quartalsweise eine Listening Masterclass an, in der Führungskräfte, HR-Fachleute, Coaches und alle Interessierten die Praxis des echten Zuhörens vertiefen können. In dieser Masterclass wird das Gehörte in diesem Artikel lebendig: In interaktiven Übungen erfahren die Teilnehmenden am eigenen Leib, wie es ist, wirklich gehört zu werden – und selbst zuzuhören. Sie lernen, wie man durch Techniken wie Generous Listening oder Aktives Zuhören nach Rogers bessere Gespräche führt, und entwickeln Routinen, um Zuhören als festen Bestandteil ihrer Führungskultur zu etablieren.
Abschließend lässt sich sagen: Wirksames Zuhören ist eine Investition in Menschen und Beziehungen. Es erfordert Mut zur Stille, Empathie und Übung – zahlt sich aber durch mehr Vertrauen, Kooperation und Erfolg im Team als Gemeinschaft aus. Indem wir zuhören, schaffen wir Raum für Neues: neue Ideen, neues Verständnis und eine Arbeitswelt, in der sich alle gehört und wertgeschätzt fühlen. Die Fähigkeit zuzuhören ist damit ein entscheidender Faktor für nachhaltigen Erfolg – und sie steht jeder Organisation offen, die bereit ist, ihr Ohr zu schulen.
Literaturhinweise
Avraham N. (Avi) Kluger & Guy Itzchakov (2022): The Power of Listening at Work, Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior.
Diego R. Castro et al. (2016, 2018): Forschungen zur psychologischen Sicherheit und zur Wirkung von Zuhören in hierarchischen Kontexten.
Guy Itzchakov et al. (2020): Studien zur Reduktion von Vorurteilen und zur Förderung von Offenheit durch qualitativ hochwertiges Zuhören.
Carl R. Rogers (1957): Active Listening – Grundlagen empathischer Kommunikation und die Rolle des Zuhörens in der zwischenmenschlichen Begegnung.
Henri Nouwen (1985): Bread for the Journey: A Daybook of Wisdom and Faith – Zuhören als Akt spiritueller Gastfreundschaft.
Rachel Naomi Remen: Kitchen Table Wisdom – Die heilende Kraft des Zuhörens und des Mitgefühls in der Begegnung.
Nancy Kline:
Time To Think – Die Schaffung eines Denkraums durch respektvolles, ununterbrochenes Zuhören.
More Time To Think – Vertiefung der Prinzipien eines Thinking Environment.
The Promise That Changes Everything: I Won’t Interrupt You – Das Versprechen, nicht zu unterbrechen, als Grundlage tieferer Kommunikation und besseren Denkens.